Notfallmanagement: Tasche, Rucksack oder was?
Bei den Behältnissen für private Notfallausstattungen scheiden sich im Prinzip seit Jahrzehnten die Geister. Aber was braucht man jetzt eigentlich wirklich?
Die Auswahl des geeigneten Behältnisses ist immer eine Geschmacksfrage. Der Markt bietet zahlreiche verschiedene Systeme für Verbraucher an, bei denen nicht immer praktische Erwägungen im Vordergrund stehen. Und nicht selten zahlt man bei der ersten Auswahl einer Tasche oder eines Rucksacks erheblich drauf, wenn man später feststellen muss, dass das eigentlich ideale Behältnis mit den eigenen Lebensumständen nur schwerlich in Übereinstimmung zu bringen ist.
Ein erster Haken hierbei ist der von Militär- und Polizei kopierte Trend zu „taktischer Medizin“, die im zivilen Umfeld so gut wie gar nicht benötigt wird. Ist man nicht Reservist in der Kampftruppe oder Polizeibeamter in Problemvierteln von Beirut, wird man in der Praxis kaum einen Bedarf für schwarze oder erdfarbene Taschen und Rucksäcke haben. Was auf den ersten Blick dann lediglich als übertrieben erscheint, bedeutet allerdings den Verzicht auf ein sehr wesentliches Element, wenn tatsächlich mal ein Notfall vorliegt:
Koffer, Rücksäcke oder Taschen in Signalfarben, die an den Rettungsdienst erinnern, wirken auf Patienten, die durch ein Notfallgeschehen aus dem gewohnten Alltag gerissen werden, ausgesprochen beruhigend. Sie strahlen Professionalität aus und vermitteln das sichere Gefühl qualifizierter Hilfeleistung – was bei akuten Erkrankungen wie einem Herzinfarkt oder Asthmaanfall dann eine ausgesprochen positive Wirkung hat und seinerseits dazu beitragen kann, Verschlimmerungen des Gesundheitszustandes durch Aufregung und Angst verhindern zu helfen.
Auch bieten die an solchen Vorbildern orientierten Varianten häufig den Vorteil, dass man gesehen wird. Reflexstreifen, Signalfarbe und Co. sind im tactical-Umfeld eher unpraktisch, sofern man nicht dem Scharfschützen auf der anderen Seite ein gutes Ziel bieten will. In der alltäglichen Lebenswirklichkeit allerdings helfen solche Gadgets durchaus weiter, will man auf der Landstraße nicht versehentlich überfahren werden. Auch können einen mit solchen Lösungen andere Helfer, etwa eintreffender Rettungsdienst, zuweilen einfacher finden.
Wobei es dann eben nicht allein eine Frage des Geschmacks ist, für welches Behältnis man sich entscheidet, denn mit steigendem Stand von Ausbildungen und Fähigkeiten steigen auch die Ansprüche an den Inhalt und die Taschen, Rucksäcke oder Koffer werden immer größer und größer bis man dann einen Aluminiumkoffer von 18 Kilogramm Gewicht nachts auf dem Weg zu einer Unfallstelle über die Autobahn wuchten muss. „Unbequem“ ist da noch die freundlichste Umschreibung. Gleichwohl sind in solchen Fällen auch Taschen oder Rucksäcke nicht per se die Ideallösungen: Das Material kann häufig leicht durcheinandergeraten, es können Dreck oder Staub eindringen und die Widerstandsfähigkeit des Materials bei Stürzen ist nicht selten auch eher fragwürdig.
Damit man also bei Taschen und Rucksäcken nicht den Inhalt wie bei einer Handtasche auf dem Boden ausschütten muss, um das gerade benötigte Material wiederfinden zu können, sind Modultaschen zur Verpackung der einzelnen Elemente also obligat – idealerweise farblich gekennzeichnet nach den jeweiligen Verwendungszwecken. Klettbefestigungen helfen dabei, dass diese Module dann in Taschen und Rucksäcken am gewohnten Platz bleiben.
Aluminiumkoffer, wie etwa der legendäre Ulmer Koffer in seinen verschiedenen Varianten, bieten dabei gerade für solche Umstände etwa, wo das Material stationär aufbewahrt wird und nicht über weitere Strecken getragen werden muss, beispielsweise im Haushalt, auf dem Schießstand oder in einer Jagdhütte. Die dichten Verschlüsse helfen dabei, dass das Material vor Luftfeuchtigkeit und sogar Temperaturen recht gut geschützt wird – deutlich besser als im klassischen „Medizinschrank“ im Badezimmer, wo hohe Temperaturen und Feuchtigkeit eine geradezu exzessive Wirkung entfalten auf empfindliche Medizinprodukte und Medikamente. Fest eingebaute Fächer oder modulare Trenner bieten hier eine geradezu unschlagbare Übersichtlichkeit.
Koffer empfehlen sich aber auch dort, wo diese überwiegend im Fahrzeug herumgefahren werden und im Kofferraum regelmäßig anderes Material um den spärlichen Platz konkurriert. Hier steht der Schutz des Materials gegenüber Wagenheber, Urlaubsmitbringseln oder einem Sack Blumenerde eher im Vordergrund, wobei es auch passende Koffer aus glasfaserverstärkten Kunststoffen gibt, die hier gute Dienste leisten. Einfache Taschen überleben so einen Missbrauch zeitlich begrenzt, allerdings sind enthaltene Kanülen oder ein Blutdruckmessgerät dann nicht selten im Fall der Fälle plötzlich als beschädigt anzutreffen und damit wertlos.
Die klassische Tasche ist vor allem als platzsparende Alternative für unterwegs gedacht, die einfach hinter dem Fahrersitz oder im leeren Kofferraum Platz findet, aber auch zwischen Urlaubstaschen noch griffbereit liegen kann. Sie ist eher für kleinere Ausstattungen geeignet, die nur das Notwendigste umfassen und das Gewicht ist in aller Regel deutlich unter acht Kilo zu verorten, selbst mit Beatmungsutensilien und Infusionslösungen.
Wer mehr Platz braucht, sollte direkt zu Rucksäcken umsteigen, bei denen das Angebot von taschenähnlichen Umhängevarianten bis hin zu professioneller Rettungsdienstausstattung mit deutlich mehr als 30 Liter Packvolumen reicht. Spitzenmodelle bieten Stauräume von mehr als 50 Litern – doch muss man einen solchen Hinkelstein dann auch nötigenfalls mal schnell durch ein enges Treppenhaus tragen können und gerät damit wieder an die Grenzen der Bequemlichkeit.
Und nicht selten erweisen sich solche Modelle dann als deutlich übertrieben, wobei gerade Laien dann dazu tendieren, verbleibenden Raum in solchen Rucksäcken mit zusätzlichem Verbandmaterial zu füllen – als gälte es, eine ägyptische Mumie neu zu bandagieren. Dafür fehlen dann nützliche Kleinigkeiten wie etwa ein Kühlspray für eine banale Prellung als Haushaltsunfall oder das Gel für Brandverletzungen, wenn man beim Grill wieder zu engen Kontakt mit der Hitze suchte.
Dank des Internets findet man auf dem Markt zahlreiche günstige Angebote von gebrauchten Behältnissen, die für die eigenen Ansprüche vollauf genügen. Kratzer und kleine Dellen in einem Notfallkoffer sind jedenfalls unproblematisch, wenn die Funktion nicht beeinträchtigt wird und das Trumm sicher und dicht schließt. Und selbst kleinere Schäden am Innenleben lassen sich noch verschmerzen, nötigenfalls tauscht man einen Raumtrenner einfach aus. Mit etwas Geduld und Spürsinn (Schreibfehler suchen lohnt sich durchaus) lassen sich solche Angebote für weniger als 50 Euro ergattern und bieten dann über Jahrzehnte gute Dienste.
Natürlich kann man sich da auch für Komplettlösungen aus dem Fachhandel entscheiden, wobei ein vollständig gepackter Notfallrucksack nach der DIN 13232 dann auch mal 4.000 Euro und mehr kosten kann, allerdings empfiehlt sich dies tatsächlich eher weniger und selbst Fertiglösungen bei kleinen Taschen beinhalten häufig eher billiges Material zu horrenden Preisen. Auch hier lohnt der Blick auf den Gebrauchtmarkt durchaus: Gerade solche Notfalltaschen und Rucksäcke, die von Herstellern aus dem Programm genommen wurden, sind häufig in ausgezeichnetem Zustand und sogar neuwertig für sehr kleines Geld zu finden und mit etwas Glück findet man das passende Produkt bereits ab etwa zehn Euro.
Natürlich ist klar, dass das klassische IFAK (Individual First Aid Kit) auch weiterhin seine Existenzberechtigung hat, nur ist dieses eben für ein sehr begrenztes und konkretes Setting konzipiert worden, was sich so im Alltag glücklicherweise nur recht selten zeigt. Und selbst Notfallgeschehen wie ein plötzlicher Herzstillstand innerhalb der Familie oder der Schlaganfall bei der Gartenparty sind vergleichsweise seltene Ereignisse, viel eher hat man es mit einer Bandbreite an Wehwehchen und Zipperlein zu tun, die sich als eher nervig erweisen und dennoch der dringenden Hilfe benötigen: Verbrühungen, umgeknickte Füße oder Schnittverletzungen beim Heimwerken sind absolute Klassiker, die die Notaufnahmen der Krankenhäuser füllen und mit solcher privaten Vorsorge deutlich entlastet werden können: Eine erste Versorgung und am nächsten Tag den Weg zum Hausarzt zu beschreiten, kann sich als durchaus ausreichend für die meisten Fälle erweisen, wenn man eine solche Versorgung dann auch bieten kann.
Und spätestens auf der Urlaubsfahrt mit Kindern im Auto kann sich der Brechbeutel in der kleinen Notfalltasche oder die sofort verfügbare Kältekompresse als deutlich nützlicher zeigen als ein Beatmungsbeutel. Um nicht falsch verstanden zu werden: Tourniquet und Bandagen haben durchaus ihre Existenzberechtigung und sind stellenweise unverzichtbares Material, sie sind allerdings im Alltag deutlich weniger entscheidend als die alltägliche Hilfeleistung zwischendurch, die bereits durch ein Fieberthermometer und ein Pflaster bewältigt werden kann.
Wofür man sich dann letztlich entscheidet, wird ohnehin niemals zur völligen Zufriedenheit führen können, alle Systeme haben auch ihre eigenen Nachteile und diese werden sich früher oder später als unbequem oder sogar wirklich problematisch erweisen können. Nicht selten geht dann die Suche nach einem neuen Behältnis wieder von vorne los und spätestens nach einem zusätzlichen Kurs zu solchen Hilfeleistungen steigen die eigenen Ansprüche dann ohnehin, denen das eigene Material dann sowieso nicht mehr gerecht werden kann. Das allerdings macht überhaupt nichts: Eine gute Vorbereitung ist ein ausgesprochen sanftes Ruhekissen und verbessern kann man ohnehin ständig etwas.
Wobei man allerdings aufgrund der Verfallsdaten von Medikamenten und manchen Medizinprodukten ohnehin reales Tetris als eine Art neues Hobby entdeckt, denn tauscht man auch nur mal zwischendurch die Batterien aus, wird man unter Garantie nie wieder den Inhalt so zusammenpacken können, wie er vorher war und plötzlich passt alles irgendwie nicht mehr komplett in die Tasche oder den Koffer. Dieser Aspekt einer Vorbereitung kann durchaus mal die eine oder andere Stunde an Hirnschmalz kosten und auf die Nerven gehen - aber das ist dabei inklusive.
Disclaimer: Aufgrund hoher Nachfrage ist dies der Beginn einer Artikelreihe zu Praxisempfehlungen für Laien und motivierte Fortgeschrittene. Ziel ist, mit den Mythen der “taktischen Medizin” bei Laien aufzuräumen und gleichfalls zur Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen zu motivieren.
Lars Winkelsdorf