„Mindestens so gefährlich wie die RAF“
Das Niveau von Bewaffnung und Trainings in der rechtsextremen Szene wird seit Jahren massiv unterschätzt. Dies lag auch daran, dass Behörden beim „Kampf gegen Rechts“ geschont wurden.
Es war ein Ladengeschäft im niedersächsischen Munster, in dem Militärbedarf ver-kauft wurde, einer der zahllosen NATO-Shops in Deutschland, wie sie überall dort zu finden sind, wo die Bundeswehr größere Kasernen hat. Doch dieser Laden war anders, neben Stiefeln und Tarnbekleidung wurden den Kunden auch Ausbildungen ange-boten. Ausbildungen, die sogar für Zeit- und Berufssoldaten ausgesprochen speziell gewesen sind, wie etwa das Präzisionsschützenwesen, das Verteidigungsschießen mit der Kurzwaffe, Messerkampf oder Widerstand bei Verhörtechniken. Ausbildungsunterlagen aus dieser Zeit zeigen so beispielsweise, dass Überfälle und Hinterhalte auf Kraftfahrzeuge trainiert wurden und man sich ausgesprochen eng am Fähigkeitenprofil von Spezialkräften und Spezialisierten Kräften orientierte.
Besonders war dieses Ladengeschäft aber auch, weil die beiden Betreiber diesen Laden neben einem Tattoostudio in Hildesheim betrieben, das weitaus bekannter war für die Szenezugehörigkeit der Betreiber Hannes K. und Hannes F.: Als im September 2000 der deutsche Arm der rechtsextremen Gruppierung „Blood&Honour“ von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verboten wurde, traten die beiden mit der heimlichen Fortführung von B&H bis 2002 derart exponiert hervor, dass sie am 12. März 2008 in Halle deswegen zu Geldstrafen verurteilt wurden.
Eine gefährliche Mischung also, die damals im Jahr 2008 aus Rechtsextremismus und militärischem Know-How entstanden war, wie auch von einem Teilnehmer der Kurse bestätigt wird: „Es ging im Grunde einzig und allein ums Töten, das war das Hauptinteresse. Technik und Taktik, darum ging es meistens ausschließlich und die meisten Fragen richteten sich darauf.“
Seinerzeit begrüßte gerade das Raid Team Oberfranken, eine Reservistenkamerad-schaft, Hannes K. als neues Mitglied. Über diesen Weg konnte Hannes K. sogar an Wettkämpfen von Spezialkräften in der Schweiz teilnehmen. Auf Bildern von sich im Internet posierte er in Uniform mit Waffen im Anschlag – bei Schießübungen der Bundeswehr. Ermittlungsakten aus dieser Zeit zu dem Komplex um die Fortführung von Blood&Honour zeigen hier das erstaunliche Bild eines Reservisten, dem zeitgleich im „Abschlussbericht zum Ermittlungsverfahren gegen Blood&Honour Deutschland“ ein eigener Sonderband gewidmet war wegen Verstoß WaffG/ KrWaffKontrG (LKA Sachsen-Anhalt, Abt. 5/55.2 Tgb.-Nr.: 609/01).
Im damaligen Internetauftritt dieses Shops konnte man sogar Fotos von paramilitärischen Übungen bestaunen, bei denen in Liegenschaften der Bundeswehr eingedrungen worden war. Das seinerzeit unbewachte NATO-Tanklager in Unsen am Süntel in Niedersachsen diente dabei als Trainingsobjekt, vom Verteidigungsminis-terium unbemerkt wurden hier Handstreiche gegen Objekte trainiert. Auf Nachfragen des Autors zu diesen Übungen reagierten Bundeswehr und das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz irritiert, hatten sie doch bis dato keine Kenntnis davon. Auf die weiteren Nachfragen, was seinerzeit ein Fernspäher auf solchen Übungen zu suchen hatte, der nur kurz danach an geheimen Einsätzen der Task Force 47 in Afghanistan teilnahm, wartet der Autor bis heute auf Antworten, die delikaten Anfragen dazu wurden in Berlin schlichtweg ignoriert.
Ein durchaus hohes Gefahrenpotential hingegen erkannte Ulrich K. Wegener in den Ausbildungsinhalten und Übungen, der legendäre Gründer der GSG 9 der Bundes-polizei kam bei Sichtung der Ausbildungsunterlagen und der angebotenen Kurse gegenüber dem Autor zu einem eindeutigen Ergebnis: „Ich halte diese Ausbildungen für mindestens so gefährlich wie die Rote Armee Fraktion, daran besteht keinerlei Zweifel.“
Ein Strategiepapier von Blood&Honour selbst zeugt davon, dass diese hohe Qualität der Ausbildungen ein enormes Risiko darstellte. Darin ist die Rede von isolierten Zellen, die unabhängig voneinander agieren sollten, ohne eine zentrale Führung: „Rote Armee Fraktion is turning into Braune Armee Fraktion right in front of the frustrated STASI officers.“ Eine für Ermittlungsbehörden nur schwer zu durchschauende Struktur, die einen der zentralen strategischen Fehler der ersten beiden Generationen der RAF quasi unmittelbar ausschloss und selbst im Falle der Enttarnung keine Rückschlüsse auf andere Zellen erlaubt hätte.
Eben genau die Struktur, die die Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) über Jahre realisiert hatte. Das Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübte insgesamt mindestens zehn Morde an Menschen mit Migrations-hintergrund und Polizeibeamten sowie mehrere Sprengstoffanschläge und Überfälle. Eher zufällig flogen die Terroristen dann bei einem Banküberfall am 4. November 2011 in Eisenach auf, angesichts der drohenden Festnahme töteten sich die beiden Uwes selbst.
Bei den umfangreichen Ermittlungen zeigte sich, dass das NSU-Trio tatsächlich intensive Bezüge zu Blood&Honour hatte, schon 1998 wurden Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt von Ermittlern zum „harten Kern“ der B&H-Bewegung gezählt. Insgesamt sollen aus dem Umfeld des Trio 20 Personen zu der rechtsextremen Bewegung gehört haben. Einzige Überlebende des Trios ist Beate Zschäpe, die zu diesem Komplex je-doch nie aussagte. Sie wurde am 11. Juli 2018 vom Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München in einem spektakulären Prozess zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Die als Unterstützer angeklagten Holger G., André E., Ralf W. und Carsten S. erhielten zum Teil langjährige Freiheitsstrafen wegen Unterstüt-zungshandlungen.
In der später berühmten „129er-Liste“ verdächtiger Personen aus dem Umfeld des Trios, die im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundes-tages diskutiert wurde, fanden sich die ehemaligen Betreiber der Wehrsportschule in Munster auf den Plätzen 122 und 123 namentlich wieder. Holger G. und Hannes K. sind auch in einem Video bei einer rechtsextremen Musikveranstaltung zu sehen und interne Dokumente des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz bekunden eine Kranzniederlegung an einem Ehrenmal in Niedersachen im Jahr 2004, an der der Bruder von André E. und seine Schwägerin mit Hannes K. teilgenommen haben sollen.
Was die Behörden tatsächlich wussten, ist heute nur noch schwer nachvollziehbar, unmittelbar nach dem Auffliegen der Terrorzelle hatten Verfassungsschützer vorhan-dene Aktenbestände dazu vernichtet. Fakt ist jedenfalls, dass der Autor zusammen mit Kollegen im Sommer 2008 die Betreiber des NATO-Shops in Munster im Vorfeld einer avisierten Übung beobachtete und dabei Observationsteam aufgefallen ist, das in der unmittelbaren Nähe des Ladens der gleichen Tätigkeit nachging. Wer hier stundenlang mit offener Motorhaube eine Panne simulierte, ist bis heute unbekannt geblieben. Gänzlich ignoriert haben dürfte man das Treiben in den niedersächsischen Wäldern aber jedenfalls von Behördenseite nicht.
Nach kritischen Fernsehbeiträgen beim ZDF wurde die Schule um den NATO-Shop geschlossen, die Aktivitäten wurden eingestellt und später tauchten die Protagonisten dann auch wieder in den Verfassungsschutzberichten auf. Trotzdem schien kein Waffenverbot im Einzelfall nach §41 WaffG verhängt worden zu sein:
Erst 2022 sorgen Festnahmen und Durchsuchungen in Niedersachsen für Aufsehen, bei denen auch Soldaten im Interesse der Ermittler standen. Die WELT berichtete seinerzeit über ein „Netzwerk von Kameraden“ mit Bezügen zur Kampfsportszene, rechtsextremen Strukturen und Organisierter Kriminalität. Bei den Vernehmungen der Soldaten soll es dem Vernehmen nach auch um Veröffentlichungen der lokalen ANTIFA gegangen sein, auf denen Fotos unter anderem Hannes K. bei Schieß-übungen mit einem Selbstladegewehr zeigten.
Es waren wohl diese Erkenntnisse zu einem Schießstandbesuch beim Bund Deutscher Schützen, die dann 2023 den Anlass für die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) boten, die regelmäßige Überprüfung von Gastschützen auf ihre waffen-rechtliche Zuverlässigkeit bei der damals beabsichtigten Waffenrechtsnovelle zu verlangen. Eine Quadratur des Kreises, eine bereits bestehende strenge Regelung im Waffenrecht nicht anzuwenden und aus den hieraus folgenden Konsequenzen dann neue waffenrechtliche Regelungen zu fordern. Einzig: Ohne Waffenverbot im Einzel-fall dürfen gefährliche Extremisten auch weiterhin an solchen Übungen teilnehmen, wenn Verfassungsschutzbehörden ihre Erkenntnisse nicht an Waffenbehörden weiter-geben dürfen oder wollen.
Aufgrund solcher Informationslücken war es auch möglich, dass sich die Versand-händler Thorsten H. und Ralph T., die zu Führungsfiguren der rechtsextremen Szene in Deutschland gezählt werden, Ausrüstungsgegenstände von Spezialeinheiten der Polizei beschaffen konnten, die so mit Sicherheit nichts in solchen Kreisen zu suchen haben: Beschusshemmende Titanhelme des Modells PSH 77 TIG landeten dutzend-weise aus den Waffenkammern der GSG9 direkt bei den Firmen der Extremisten. Diese bewarben die Helme und ebenfalls über die VEBEG - die Verwertungsgesell-schaft des Bundes - beschaffte Schutzwesten offensiv, wobei sie direkt ein Backronym für SEK schufen: Statt „Spezialeinsatzkommando“ wie dies bei der Polizei für diese Abkürzung steht, wurde hieraus „Skinhead Einsatzkommando“. Wenig Wunder also, dass Thorsten H. so auch regelmäßig in den Ermittlungsakten der „BAO Trio“ auftauchte, der aber jeden Kontakt zum NSU ausdrücklich abstritt. „Das Material wurde über die VEBEG versteigert, es war keine große Sache, auf die entsprechenden Posten zu bieten und den Zuschlag zu erhalten“ erklärte Ralph T. dazu 2007 gegenüber dem Autor.
Ganz anders die Ausstattung von Stephan E., die vergraben auf dem Firmengelände seines Arbeitgebers gefunden wurde: Mehrere Kurzwaffen, eine Pumpgun und eine Maschinenpistole Uzi, eingefettet und für längere Lagerung unter der Erde zusam-men mit passender Munition vorbereitet. Unter den Waffen war auch ein Revolver des brasilianischen Herstellers Rossi mit vier Patronen im Kaliber .38 Special geladen und einer verfeuerten Hülse in der Trommel. Das dazugehörige Projektil hatte am 2. Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) in seinem Garten beim Rauchen tödlich in den Kopf getroffen. Insgesamt 46 Waffen fanden die Ermitt-ler später im Umfeld von Stephan E. und weiteren Beschuldigten, darunter auch mehrere Kleinkaliberpistolen und Schalldämpfer im Haus von Stephan E. Andere Waffen hatte er vor der Tat bereits an Personen aus seinem Umfeld weiterverkauft.
Stephan E. war 2001 Mitglied der „Artgemeinschaft Germanische Glaubensgemein-schaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V.“ geworden, an deren Veranstaltungen auch André und Maik E. mehrfach teilgenommen hatten. Auch hatte Stephan E. nach Angaben des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz häufiger Kontakt zu dem bereits genannten Thorsten H., der persönliche Gespräche mit E. bestreitet.
Mehrfach wurde Stephan E. mit bekannten Mitgliedern von Blood&Honour bei Polizeikontrollen angetroffen. Ermittler vermuteten später, dass Stephan E. sich ab etwa dem Jahr 2010 an die strategischen Konzepte zum „führerlosen Widerstand“ gehalten habe und in eine bürgerliche Existenz abgetaucht sei, bevor es durch die Flüchtlingskrise zu einer erneuten offenen Radikalisierung kam und er den Mord verübte. Besonders auffällig dabei: Walter Lübcke stand ausdrücklich auf der Liste potentieller Zielpersonen, die der NSU zusammengestellt hatte. Zeitweise gingen die Behörden sogar davon aus, dass Stephan E. und seine Mittäter zu einer weiteren NSU-Zelle gehört haben könnten, die auch am Mord an Halit Yozgat mitgewirkt haben könnte.
Bis heute blieb offen, ob weitere Terror-Zellen nach dem Prinzip des „führerlosen Widerstands“ von Blood&Honour existiert haben oder sogar noch existieren, wer alles aus dieser Szene an den spezialisierten Ausbildungen teilgenommen haben könnte und was an Waffen, Kampfmitteln und Material tatsächlich vorhanden sein kann, um sich am „Tag X“ dann aus solchen Depots bedienen zu können. Selbst Parlamentarische Untersuchungsausschüsse konnten hier in den Jahren seit 2011 und nach dem Mord an Walter Lübcke diese Fragen nicht abschließend klären.
Die sichergestellten Waffen und die Ermittlungsakten zeugen allerdings davon, dass die Politik die letzten Jahre das Problem in seinen Dimensionen massiv verkannt hat und „den falschen Hammer für die Schraube“ ansetzte, um durch verwaltungsrecht-liche Bestimmungen im Waffenrecht die illegale Bewaffnung der Extremisten zu bekämpfen. Jedenfalls steht fest, dass keine einzige der von den Tätern verwendeten Waffen legal war, die umfangreichen Waffenarsenale mit Revolvern, schallgedämpften Pistolen, Maschinenpistolen und Pumpguns waren ausnahmslos auf dem Schwarzmarkt beschafft worden.
Die Frage allerdings, die Silke Stokar von Neuforn (Bündnis 90/ DIE GRÜNEN) 2008 als ehemaliges Mitglied im AK II (Innere Sicherheit) des Bundestages zu Reserve-übungen von Rechtsextremisten aufwarf, wurde dann tatsächlich beantwortet: „Ich frage mich, wo ist hier der Militärische Abschirmdienst?“
Nur wenige Monate nach dieser Frage haben die Sicherheitsbehörden diese Lücken tatsächlich geschlossen, inzwischen werden Reservisten durch den Geheimdienst der Bundeswehr überprüft. Über die Qualität dieser Prüfungen darf im Einzelfall gestrit-ten werden, doch die seinerzeit offenen Tore wurden dadurch zumindest geschlossen.
Angesichts der Dimensionen des Problems allerdings ein ausgesprochen schwacher Trost, denn ausgerechnet Nancy Faesers „Kampf gegen Rechts“ verspielte hier ob der verfehlten Schwerpunkte und handwerklichen Schwächen in der Leitung des Bundes-innenministeriums beim Thema Waffenrecht mehrere Jahre, die die Extremisten nun den Behörden voraus sind. Es bleibt zu hoffen, dass die illegale Bewaffnung der Szene die kommenden Jahre schärfer in den Fokus genommen werden wird – wie im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung beschlossen.
Lars Winkelsdorf