Malen mit Zahlen
Erste statistische Erhebungen aus Nordrhein-Westfalen zeigen nicht nur, dass die illegalen Waffen das eigentliche Problem für die Sicherheit der Bevölkerung sind.
Am Montag wurde bekannt, dass das Innenministerium in Düsseldorf 2421 Tötungsdelikte in NRW zwischen 2019 und 2024 ausgewertet hat. In lediglich acht Prozent der Fälle wurde für diese Taten eine Schusswaffe verwendet, wobei überwiegend Kurzwaffen, also Pistolen und Revolver eingesetzt wurden. Von diesen Waffen konnten 63 Prozent unmittelbar als illegal festgestellt werden, bei 25 Prozent konnte eine Zuordnung nicht sicher erfolgen.
Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte zu den Ergebnissen, die überhaupt erstmalig öffentlich erhoben wurden, gegenüber der Deutschen Presseagentur: „Unsere Auswertung zeigt: Der Einsatz von legalen Waffen im Zusammenhang mit Tötungsdelikten ist ein Ausnahmefall. Daher muss man den Schluss ziehen, dass eine Verschärfung des Waffengesetzes Kriminelle damit nicht besonders juckt."
Die festgestellten Zahlen decken sich dabei mit einer Auswertung des Autors aus dem März 2023, bei der nach dem Amoklauf von Hamburg die Nachrichten zu Tötungsdelikten mit Schusswaffen für den Zeitraum eines Jahres ausgewertet wurden. Auch hier zeigten sich recht ähnliche Bilder von etwa 2/3 bestätigter Fälle mit illegalen Waffen und erheblichen Unschärfen um die 25 Prozent.
ZDF Frontal fragte 2024 nach den Zahlen aller 16 Landeskriminalämter, elf Polizeibehörden antworteten auf die Anfrage mit den Zahlen für das Jahr 2022: Nur in neun Fällen kamen bei den 59 Fällen überhaupt legale Waffen zur Anwendung. In 36 Fällen waren die Waffen eindeutig als illegal identifiziert worden. Weitere 14 Fälle wurden als „unklar“ mitgeteilt.
Olaf März vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) war jahrelang Leiter einer LKA-Dienststelle für Waffenkriminalität in Sachsen-Anhalt: „Die Ergebnisse decken sich mit meinen Erfahrungen, Gewalttaten und Tötungsdelikte passieren im Regelfall mit illegalen Waffen. Das ist das eigentliche Problem, wo wir etwas tun müssen.“
Was bei diesen Zahlen nicht kommuniziert wird: Die Fallzahlen des Missbrauchs legaler Waffen haben sich damit seit dem Jahr 2007 etwa verdoppelt. Damals noch lag die Missbrauchsquote relativ stabil im Bereich von ca. vier bis fünf Prozent, Dienstwaffen von Polizeibehörden und Bundeswehr eingeschlossen.
Während also als vermeintliche Konsequenz aus Amokläufen die Politik regelrecht getrieben von kritischer Medienberichterstattung – die im Wesentlichen aus dem Kopieren von US-Politik und der entsprechenden Berichterstattung amerikanischer Leitmedien bestand – das Waffengesetz immer weiter verschärfte, stiegen hierbei entgegen der kommunizierten Erwartungen die Fallzahlen an. Eine regelrechte Paradoxwirkung, die bislang allerdings nahezu unbeachtet blieb.
Dabei konnte man die Folgen dieses Paradoxons erkennen, hätte man es nur gewollt:
Zahlreiche Fälle zeugen davon, dass die Waffenbehörden durch die immer häufiger und schneller bei ihnen ankommenden „Verschärfungen“ zunehmend überlastet wurden und ihrer eigentlichen Aufgaben somit gar nicht mehr nachkommen konnten. Es entstand trotz erheblich sinkender Zahlen der legalen Waffenbesitzer auf inzwischen nur noch knapp weniger als eine Millionen Bundesbürger ein erhebliches Vollzugsdefizit quer durch die Republik.
Am 8. März erschoss in Bad Lauchstädt der 61jährige Falk S. seine getrennt von ihm lebende Ehefrau. Obwohl bereits Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung, Nötigung und Stalkings anhängig waren, hatte die Waffenbehörde die Erlaubnisse nicht entzogen. Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) musste in der politischen Aufarbeitung des Falls Versäumnisse der Behörden einräumen.
Ähnliche Versäumnisse mussten in Niedersachsen eingeräumt werden nach dem Vierfachmord von Rotenburg, bei dem ein Soldat am 1. März 2024 in die Häuser von Freunden eindrang und zielgerichtete Freunde seiner getrenntlebenden Frau erschoss, um sich für die Trennung zu rächen. Obwohl die Polizei bei der Strafanzeige ausdrücklich auf den Waffenbesitz und die Notwendigkeit einer Entwaffnung über die Waffenbehörde hingewiesen worden war, hatte man es versäumt, die Behörde unmittelbar einzubeziehen.
Beim Amoklauf in Hamburg am 9. März 2023, bei dem Philipp F. mit seiner Sportpistole HK P30L bei den Zeugen Jehovas in der Deelböge acht Menschen tötete und neun weitere Personen schwer verletzte, war ausdrücklich in einem anonymen Brief aus seinem Umfeld vor seiner Erkrankung gewarnt worden. Statt einer kritischen Aufarbeitung der Versäumnisse, etwa die psychische Bewertung durch einfache Vollzugsbeamte vornehmen zu lassen, forderte der Hamburger Innensenator nach der Tat umfassende „Verschärfungen“ beim Waffenrecht.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen über die Versäumnisse beim Amoklauf von Hanau 2020, weitere Tötungsdelikte im Raum Augsburg oder Kiel bis hin zu erweiterten Suiziden quer durch die Republik.
Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und bisher in der Waffenrechtsdebatte praktisch nicht thematisiert, legte die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am 10. Januar 2023 im Morgenmagazin des ZDF ein Geständnis ab, das noch heute sicherheitspolitischen Sprengstoff birgt:
„Wir haben auch eine Frage der Umsetzungsschwierigkeiten, nämlich der stärkeren Kontrolle durch Waffenbehörden (…) Es gab eine ganze Zeit lang, wo alle in Deutschland immer nur sparen wollten, gerade bei der öffentlichen Verwaltung und das sind die Folgen davon, wo man einfach sagen muss: Das war nicht richtig“
Gespart wird bis heute quer durch die Waffenrepublik Deutschland, nicht nur bei den Waffenbehörden, sondern auch bei der Verfolgung illegaler Waffen. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich dabei am 6. August 2022 in Hamburg Lurup:
Zwei Heranwachsende hantierten im Keller eines Reihenhauses mit illegalen Waffen. Dabei löste sich ein Schuss aus einem umgebauten Schreckschussrevolver im Kaliber 7,65mm Browning und traf den 19jährigen in den Bauch. Die Mutter berichtet von dem Abend:
„Er schleppte sich aus dem Keller rauf in mein Schlafzimmer auf mein Bett, überall war Blut. Es war ein absoluter Horror, er blutete und blutete, war ganz blass, weinte und zitterte. Ich rief sofort den Notruf und mein Sohn rief immer wieder „Mama“, er verblutete regelrecht in meinen Armen.“
Nachdem Rettungsdienst und Notarzt den jungen Mann versorgt hatten, fanden Polizisten bei seinem Bruder eine illegale Waffe. Mutter und Bruder wurden noch vor Ort festgenommen. Als im Krankenhaus festgestellt werden musste, dass der 19jährige nicht überleben würde, musste sich die Mutter auf der Intensivstation in Handschellen von ihrem Kind verabschieden. Woher die illegalen Waffen stammten, bis heute ist dies ungeklärt, der Lieferant wurde niemals zur Rechenschaft gezogen.
„Das muss aufhören, das darf einfach nicht sein, dass junge Menschen einfach so problemlos an solche Waffen kommen. Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass sowas in meinem Haus sein könnte und dann passiert sowas. Wer sowas einfach an Jugendliche und junge Erwachsene verkauft, gehört lebenslang ins Gefängnis. Für meinen Sohn ist es zu spät, aber ich wünsche niemandem, das erleben zu müssen, was ich erleben musste“ bekundet die Mutter.
Gesprochen hatte nach der Tat keine Redaktion mit ihr, man war zu beschäftigt damit, die Pläne für eine weitere „Waffenrechtsverschärfung“ des Bundesinnenministeriums zu bejubeln.
Lars Winkelsdorf, in Zusammenarbeit mit citynewstv